Rechtschreibgespräche sind Lernarrangements, in denen die wiederkehrenden Strukturen der Schrift anhand von Wörtern, Formulierungen und Sätzen entdeckt, begriffen und schließlich für das Erklären der richtigen Schreibung genutzt werden. Einbringen können sich alle Kinder – mit ihrem jeweiligen Wissen und Können. Heterogene Lernvoraussetzungen der jeweiligen Gruppe bilden eine produktive Basis. Rechtschreibgespräche sind das Pendant zum individualisierten Training.
Grundlage für die Auswahl der Wörter und Sätze sind in der Regel die eigenen Texte. Hier finden sich Wörter und Wendungen aus der Lebenswelt der Lernenden, an denen exemplarisch Strategien und Regeln erarbeitet, angewendet und reflektiert werden. Die Lernenden können auch selbst Vorschläge für Wörter, Formulierungen und Sätze einreichen. Zudem ergibt sich aus den Themen des Unterrichts passendes Wortmaterial.
Wer mit einem vorgegebenen Grundwortschatz arbeitet, wird diesen zusätzlich zur Wortauswahl nutzen und dabei feststellen, dass die aus Kindertexten und Themen gewonnenen Wörter sich in aller Regel in vorgegebenen Wortschätzen wiederfinden.
Filme: Rechtschreibgespräche
Material: Ampelpläne, Leitfragen u.a.
Lernecke: Digitales Rechtschreibgespräch
Inhaltsverzeichnis
Verschiedene Wege: Wort des Tages, Satz der Woche, Wörtersammlung
Die gemeinsamen Gespräche können sich um einzelne Wörter, kleine Formulierungen, Sätze oder größere Wörtersammlungen drehen. Die Struktur des Gesprächs orientiert sich dabei jeweils an wiederkehrenden Leitfragen (s.u.), die in der Rechtschreibampel (s.u.) zusammengefasst sind.
1. Wort des Tages
Beispielwörter: das Fahrrad, mein Spiel, eines Tages, die kleine Maus (Nomen mit Artikelwörtern)
Über die Strukturen eines Wortes oder einer Formulierung nachdenken
Filmbeispiel: das Erlebnis
2. Satz der Woche
Beispielsatz: „Juchu“, rief Emma, als sie das Geschenk öffnete.
Über wortübergreifende, satzbezogene Strukturen (z.B. Zeichensetzung) nachdenken
Filmbeispiel: Ich freue mich, dass er kommt.
3. Wörtersammlung
a) zu einem Thema
Beispiele: Wörter zu einem Thema (Sachunterricht, Jahreszeit u.a.), Wörter zur gemeinsamen Lektüre
Schreibungen vergleichen, sich wiederholende Muster entdecken (z.B. -en bei Verben, Wortfamilien/Stammmorpheme), Strategien und Regeln entdecken
Filmbeispiel: Fasching
b) zu einem ausgewählten Rechtschreibmuster
Beispiele: Wörter mit dem Wortbaustein -ver (-er, -nis ...), Wörter mit Doppelkonsonanten
Regeln und Strategien beschreiben, ergründen, erklären
Unterricht konkret: Leitfragen und Rechtschreibampel
Zunächst werden die Lernenden gebeten, das gewählte Wort, die Formulierung oder den Satz innerlich oder tatsächlich aufzuschreiben. Unmittelbar danach sehen sie, wie die Lehrperson das Wort an der digitalen oder traditionellen Tafel normgerecht schreibt. Der Vergleich mit der eigenen Schreibweise weckt Motivation, Neugier oder auch Bestätigung des eigenen Könnens. Das dann folgende Gespräch kann sich an den hier abgebildeten Leitfragen (Download) orientieren und mit der Rechtschreibampel (Download) strukturiert werden.
Im Mittelpunkt steht die korrekte Schreibweise. Das Gespräch wird nun so geleitet, dass daraus Hilfen für solche Situationen erwachsen, in denen gerade keine Vorlage bereitsteht. Deshalb sind die Frage „Wo warst du unsicher?“ und "Wie kannst du dir weiterhelfen?" zentrale Impulse.
Leitfragen für Rechtschreibgespräche
- Was fällt dir an dem Wort auf?
- An welcher Stelle könntest du beim Schreiben unsicher sein?
- Warum?
- Wie kannst du dir weiterhelfen?
- Wie ist das Wort gebildet?
- Bei welchen Wörtern könnte das gleiche Problem auftreten?
- Welche Wörter sind auch so gebildet?
- Wo findest du das Wort im Wörterbuch?
- Was fällt dir noch ein?
(aus Leßmann, Beate (2013): Handbuch, Teil II B (Rechtschreibkompetenzen), S. 19 - s.u. "Vertiefen"))
Rechtschreib-Ampel als Leitfaden für das Gespräch
Die Farben der Ampel geben dem Gespräch eine transparente Abfolge. Markiert wird im Wortmaterial an der Tafel wie folgt:
- Rot: Unsicherheiten
- Gelb: Wortbausteine (bzw. Satzbausteine)
- Grün: Strategien und Regeln, die weiterhelfen
Wortbausteine als Stütze
Das Material der WORT-BAU-STEIN-E (Download) dient im Gespräch dem handelnden Entdecken und Analysieren der Strukturen der Schriftsprache. Im gemeinsamen inklusiven Lernen erwerben etwa Lernende mit Förderbedarfen im Bereich Geistige Entwicklung grundlegende Vorstellungen von Strukturen, indem sie aus einer kleinen Auswahl an Bausteinen die passenden auswählen und korrekt - gemäß der Vorlage an der Tafel - zusammensetzen. Die Wortbausteine helfen auch im Anschluss an das Gespräch, weitere Wörter mit einer vergleichbaren Struktur zu finden.
Anschlussaufgaben nach dem Rechtschreibgespräch
Am Ende eines Rechtschreibgesprächs kann der Auftrag stehen, das Wort aufzuschreiben und die farbigen Markierungen einzutragen. Wichtiger als das Schreiben des Wortes ist jedoch der Ertrag, der sich aus dem Nachdenken über die Schreibweise ergibt. Man kann die Lernenden im Anschluss an das Gespräch auch bitten, entweder die Erkenntnis zu formulieren, die sie aus dem Gespräch gezogen haben oder Beispiele (Wörter/Sätze) zu den erkannten Mustern zu notieren und farblich zu markieren. Das wäre auch eine mögliche Hausaufgabe.
Rechtschreibung erklären – aber wie?
Wer Schreibweisen erklärt, bezieht sich dabei auf vier orthographische Prinzipien:
- Phonographisch s-i-ng-en
Der Zusammenhang von Phonem und Graphem – vereinfacht gesagt von Laut und Buchstabe – wird herausgestellt. - Silbisch sin-gen
a) Die mündliche Silbe wird für die Lautanalyse des gesprochenen Wortes genutzt (in jeder Silbe ein Vokal).
b) Die schriftliche Silbe wird für die Analyse des geschriebenen Wortes genutzt. - Morphematisch sing-en
Konstanzschreibungen von Wortbausteinen dienen als verlässliche Muster, u.a. beim Ableiten und Verlängern. - Syntaktisch das großartige Singen
Der Satz- oder Textzusammenhang wird für die korrekte Schreibung notwendi(gerweise mitbetrachtet.
Die deutsche Schriftsprache lässt sich nicht durch ein Prinzip alleine erklären. Das phonographische Prinzip und die mündliche Silbe sind lediglich Durchgangsstadien für eine begrenzte Zeit im Anfangsunterricht. Langfristig führt eine einseitige Lautorientierung ebenso wie das Klatschen oder Schwingen von Silben zu Fehlschreibungen.
Rechtschreibgespräche im 1. Schuljahr - gemeinsames Schreiben mit einer Anlauttabelle
Das gemeinsame Schreiben einzelne Wörter mit einer Anlauttabelle, bei der die Lehrperson mit den Kindern gemeinsam überlegt, wie ein Wort oder ein Satz verschriftet wird, und die Lehrerin dabei Erklärungen zu Schriftstrukturen gibt, wird hier ebenfalls als Rechtschreibgespräch bezeichnet. Die Lehrperson achtet darauf, schon früh neben den phonographischen Grundlagen bereits morphematisches und syntaktisches Wissen anzubahnen (vgl. Film Riese).
Filmbeispiel: ein Riese
Im 1. Schuljahr werden Vergleiche zwischen dem gehörten und dem geschriebenen Wort hervorgehoben. Um das „Sehen“ der Schreibung zusätzlich zum „Hören“ der Lautung zu fokussieren, wurde ein eigener Fahrplan „Hören – Sehen – Denken“ (Download) entwickelt (s. Bildergalerie), der dann eingesetzt wird, wenn die Anlauttabelle im Unterricht nicht mehr gemeinsam genutzt wird.
Variationen von Rechtschreibgesprächen
Mini-Rechtschreibgespräche im Kontext der Übung von Wörtern mit der Wörterklinik
Wörter, die sich aus eigenen Texten ergeben und in der Wörterklinik geübt werden, müssen zuvor auf korrekt Kärtchen geschrieben werden. Nach dem Notieren überdenken die Kinder mit einem Partner die Struktur des Wortes - so wie im gemeinsamen Rechtschreibgespräch. Sie markieren die Wörter dafür gemäß der Ampel-Methode (s. Bildergalerie).
Rechtschreibgespräche in einer kleinen Gruppe mit dem Placemat
Das Wort oder der Satz wird in die Mitte eines Placemats (Download) geschrieben. Die Lernenden notieren ihre Gedanken zur Schreibweise in dem jeweils vor ihnen liegenden Feld, ergänzen nach dem Weiterdrehen die Ideen der Mitschüler:innen und treten schließlich in den Diskurs über die Schreibweise bzw. die Strukturen der Schriftsprache. Pro Gruppe vertritt ein Lernender die Einsichten in der Klasse.
Rechtschreibvorträge
Schüler und Schülerinnen, denen Rechtschreibgespräche bekannt sind, können zu selbst gewählten Wörtern und Sätzen Vorträge zur Schreibweise halten bzw. ein Rechtschreibgespräch mit der Klasse führen. Dafür liegen Planungsbögen sowie Rückmeldebögen (Download) bereit.
Film: Rechtschreibvortrag
Leistungsüberprüfung
Die Kompetenzen, die sich in Rechtschreibgesprächen ausbilden, können in Rechtschreibarbeiten überprüft werden. In den Rechtschreibarbeiten zu den Themen "Von Hunden und anderen Haustieren", "Frühling", "Herbst" finden Sie solche Aufgabenstellungen (Download Grundschule, Sekundarstufe).
Rechtschreibvorträge können als alternative Leistungsnachweise eingesetzt werden.
Meine Erfahrungen - meine Einschätzung
Rechtschreibgespräche sind bei den Lernenden beliebt, weil sich alle aktiv mit ihrem jeweiligen Know-How in den gemeinsamen Lernprozess einbringen können – und das auch im inklusiven Unterricht. Wenn Rechtschreibgespräche regelmäßig geführt werden, ersetzen sie die klassischen „Einführungsstunden“ in die Klassiker oder "Fälle" des Rechtschreibunterrichts – bei denen Kinder oft entweder unter- oder überfordert sind. In regelmäßigen Rechtschreibgesprächen werden immer wieder dieselben Strategien und Regeln genutzt, erklärt, angewendet, reflektiert und zunehmend verinnerlicht und verstanden. Das Kopieren von Arbeitsblättern erübrigt sich zugunsten der gemeinsamen Verständigung, die zugleich Gesprächskompetenzen fordert und fördert.
Wortschatzarbeit und Rechtschreibgespräche ergänzen sich. Wer mit den Farben der Rechtschreibampel arbeitet, kann dieselben Farben für die Wortschatzarbeit nutzen - z.B. für das Üben mit der Wörterklinik. Wörter, die geübt werden müssen, werden farblich markiert: Schwierigkeiten rot, Wortbausteine gelb, Strategien und Regeln grün. - Wörter aus Wörtersammlungen können am nächsten im Sinne eines Mini-Checkdiktats diktiert werden. Geübt werden nur die Wörter, bei denen die Lernenden unsicher waren. Diese Wörter gehen in die Wörterklinik - am besten in den Farben der Ampel markiert.
Und: Zuweilen entwickeln sich aus „Rechtschreibgesprächen" eher „Nachdenkgespräche", in denen sprachphilosophische oder -historische Betrachtungen angestellt werden (Beispiele dazu in Leßmann: Individuelle und gemeinsame Lernwege Teil II B, S. 19 - 21).
Mehr über Rechtschreibgespräche erfahren
- Leßmann, Beate: Individuelle Lernwege im Schreiben und Rechtschreiben, Teil II B, S. 18 - 27, Info Dieck-Verlag
- Onlinevortrag, gehalten auf der Jahrestagung der DGLS (Deutsche Gesellschaft für Lesen und Schreiben) 2021
- Leßmann, Beate: Rechtschreibstrategien. Lehr- und lernvorasusetzungen. In: Grundschule Deutsch 74 (2022)
- Rechtschreibgespräche ab Klasse 2
- Rechtschreibgespräche in Klasse 1
- Rechtschreibvorträge
- Digitales Rechtschreibgespräch - digitale Übung